Wenn die Nächte kühler und die Tage kürzer werden, erwachen die Theaterhäuser aus dem Sommerschlaf und öffnen ihre Pforten für das geliebte Publikum. Dieses Jahr wird die Saison in Bern wieder mit unermüdlicher Festlaune eingeläutet. Das Schlimmste an der Sache ist: Ich bin nicht dabei! Ich kann an all diesen Apéros, an denen sich die Theaterfüchse und Bühnenhasen gute Nacht sagen nicht teilnehmen. Ich verpasse eine Menge Cüplis, Händeschütteln und Insider-Anekdöteli.
Denn auch ich bin aus dem Sommerschlaf erwacht und gen Osten aufgebrochen: In meine alte Heimat, nach Graubünden. Ich habe das weitläufige Berner Alpenpanorama gegen den erdrückenden Berg vor der Nasenspitze eingetauscht, das Baden in der Aare gegen das Sonnenbaden mit Blick auf den eiskalten Bergsee und die Mandelbärli gegen die Nusstorte. Ich habe die Ärmel hochgekrempelt und bin mitten in den Proben zu Thornton Wilders Stück «Wir sind noch einmal davongekommen». In den drei Akten dieser absurden Komödie überlebt die Familie Antrobus die Eiszeit, die Sintflut sowie den Krieg und scheint aus jedem Unglück noch gestärkter herauszukommen. Dabei befinden sich die Protagonisten dieser surrealen Geschichte gleichzeitig in Vergangenheit und Gegenwart und kämpfen mit Dinosauriern, Miss-Wahlen oder dem Erfinden des ABCs gegen die Widrigkeiten des Lebens. Statt das Ende des Sommerschlafs zu feiern plage ich mich also mit dem ganz normalen Probenwahnsinn herum und kämpfe selbst gegen die Widrigkeiten des Projekts:
- Wo bekomme ich billig ein brauchbares Plüsch-Mammut her?
- Wie soll der Werbe-Flyer aussehen?
- Warum zum Teufel muss meine Regieassistentin ausgerechnet jetzt drei Wochen bei einem anderen Projekt proben?
- Sind 1500 Franken Podestmiete zu teuer, wenn das Bühnenbild nur aus einem Zuschauerraum besteht?
- Wie verklickere ich meinen Schauspielern die Szene als Historienfilm-Persiflage ohne einen geeigneten Filmausschnitt zur Hand zu haben?
- Was soll ich an der bevorstehenden Pressekonferenz über die Aufführungen erzählen, wenn ich eigentlich nichts über die Inszenierung verraten will?
- Ist es schlimm, dass auch bei mir eine Cervelat-Prominente auf der Bühne zu sehen ist?
- Und last but not least: Warum besteht eigentlich 90% des Theatermachens aus Organisation?
Wenn ich manchmal nicht mehr weiter weiss, dann flüchte ich in einen tranceartigen Sommerschlaf-Zustand. Ich stelle mir vor, im Tojo an einem Apéro pauvre die leckeren Sous le Pont-Schinkengipfeli zu verschlingen oder an der Schlachthaus-Bar mit dem süffigen Chasselas auf den neuen Theaterraum anzustossen. Oder ich frag mich, ob man aus den Plüschsesseln des Berner Stadttheaters geeignete Mammuts herstellen könnte.
ICH WÜNSCHE ALLEN KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN EINEN GELUNGENEN SAISONSTART!
Und hier noch eine kleine Saisonauftakt-Übersicht:
Das Tojo-Theater[nbsp]in der Reitschule feiert seinen 25. Geburtstag mit einem Apéro pauvre, welchem ein Gala-Dinner mit «Les deux Suisses» folgt. Ich frage mich, ob das Resli Burris «Les trois Suisses» sind – ohne Thomas Baumeister, der nach über zwanzig Jahren das Trio verlässt. Ich empfehle aber vor allem die anschliessende Disko mit Grazia Pergoletti alias «Sister Knister». Unsere «Grande Dame» der freien Theaterszene ist genau die richtige DJane für den Anlass, hat sie doch mit dem Club111 selber bei der Entstehung des Reitschul-Theaters mitgeholfen. Happy Birthday, liebes Tojo!
Das Schlachthaus-Theater eröffnet die Spielzeit ebenfalls mit einem Geburtstag und zwar mit einem runden: Das Spoken-Word-Ensemble «Bern ist überall» wird zehn Jahre alt und zeigt in der ganzen Schweiz vier simultane Auftritte zum Thema Jubiläumswahn.
Meine Lieblingskünstlerin des Ensembles ist die Abgängerin des Berner Instituts für Theaterwissenschaft Ariane von Graffenried, die man auch vom Duo «Fitzgerald & Rimini» kennt. Das Schlachthaus selbst öffnet seine Tore übrigens noch nicht zum Saisonbeginn – zeitgleich zum Umbau der Berner Hauptachse in der Altstadt wird nämlich auch im Theater, das seit 1997 als Gastspielbetrieb für die freie Theaterszene genutzt wird, fleissig gehandwerkelt. So werden die Produktionen zunächst an verschiedenen Orten in der Region gezeigt, unter anderem im Schloss Köniz, im Gaskessel oder im Bären Buchsi. Mit dem Anstossen auf den renovierten Theatersaal (der übrigens vollends vom Foyer getrennt sein wird!) muss man sich also ein wenig gedulden.
Mit einem nächsten Jubiläum wartet La Cappella auf: Auf dieser charmanten Kleinkunstbühne findet das 10. Internationale Theatersport-Festival statt. «International» und «Festival» klingen nach einem Grossanlass, ein Blick ins Programm verrät jedoch, dass lediglich vier Gruppen am Start sind: Das Tap aus Bern mit LuDI-Urgestein Thomas Laube, Ohnewiederholung aus Sarnen, Impropongo aus Italien und Gorillas aus Berlin. Deutsch und Italienisch sind also vertreten und Freunde der Improvisation kommen in der ehemaligen Kappelle bestimmt auf ihre Kosten!
Dann bleiben noch die zwei «Leuchttürme» der Berner Theaterszene, die zwar mit keinen Geburtstagen auffahren, sich aber dennoch die Festlaune nicht verderben lassen:
Die Dampfzentrale lässt die Korken mit einem wahren Veranstaltungsmarathon knallen: Videoinstallationen, Dokumentarfilme, Tanzperformances (z.B. Boris Charmatz’ düsterer Blick auf das Kindsein «Enfant») und viel gute Musik. Da würde ich mir das Konzert von King Pepe herauspicken, da ich Simon Hari als Theatermusiker des Club111 äusserst erfrischend finde und seine andere Band Captain Frank über alles liebe!
Last but not least heisst das Konzert Theater Bern[nbsp]auch dieses Jahr mit einem rauschenden Fest im altehrwürdigen Stadttheater die BesucherInnen willkommen (das Konzept scheint sich zu bewähren, denn an eine andere Spielzeiteröffnung kann ich mich kaum noch erinnern). Spielplan-Show, Besuch des Tanztrainings, Kinderprogramm und eine grosse Theaterparty mit Kochshow stehen auf der Tagesordnung. Wer Durchhaltevermögen hat, gibt sich also die volle Ladung Stadttheater von 11 Uhr vormittags bis 5 Uhr morgens – und erst noch mit freiem Eintritt! Ich würde am liebsten mit Ensemblemitglied Jon Loosli das Tanzbein schwingen und sowohl auf den Saisonstart als auch auf seine Hauptrolle im Schweizer Schwingerfilm «Dinu» anstossen, der am Sonntag nach dem Fest auf SRF ausgestrahlt wird.
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